Longbow goes High Tech


Ein Artikel von Hans Zerbes erschienen in BOGENSPORT Journal 3/00

"Was hat Bogenbau mit High Tech zu tun?", wird sich der eine oder andere jetzt vielleicht fragen. Aber ein Bogen ist eine Hochleistungs-Wurfmaschine, wenn man ihn richtig baut, und das ist bereits High Tech.

Bögen gibt es viele, schlechte und gute, teure und billige Bögen. Aber alle haben das gleiche Prinzip zur Grundlage. Das Prinzip der Blattfeder. Beim Spannen der Feder speichert diese Energie in Form von Spannungsenergie und setzt sie beim Loslassen in Bewegungsenergie um. Dabei wird Energie für die Beschleunigung der Wurfarme benötigt und der „Rest“ kann für die Beschleunigung eines Pfeils benutzt werden.

Wie groß die gespeicherte Energie und der Rest sind, hängt von der Bauart des Bogens und den verwendeten Werkstoffen ab. Die Bauart wurde in den letzten Jahrhunderten optimiert. Das Endprodukt ist der Recurve-Bogen. Dabei wurde die Federkonstante (Kurve, die sich ergibt, wenn man die benötigte Auszugskraft in Abhängigkeit von der Auszugslänge aufzeichnet) optimiert, also die gespeicherte Energie.

Die Energieerhöhung erfolgt durch die Änderung der Federkonstante, die, wie schon erwähnt, durch die Bauart verändert werden kann. Durch einen Reflex oder eine Recurve verändert man die Vorspannung der Wurfarme im aufgespannten Zustand. Beim Spannen des Bogens müssen sie sich stärker biegen als bei einem geraden Bogen und deshalb müssen sie auch dünner gebaut werden. Dies führt unter anderem auch dazu, dass die Wurfarme gleichzeitig auch leichter werden und weniger Energie für ihre Beschleunigung verbrauchen. Es werden also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Mehr verfügbare Energie und besserer Wirkungsgrad.

Mit Verbundwerkstoffen wurde auch erfolgreich experimentiert (z.B. Holz, Sehnen und Horn). Nicht nur damit die Bögen stabiler sind, sondern auch um sie schneller zu machen, das heißt den Wirkungsgrad zu erhöhen, und da ist der Werkstoff auch ein entscheidender Faktor. Schließlich kommt es darauf an die Energie im System Bogen so hoch wie möglich zu machen und den Verlust durch die Energie, die für die Wurfarmbeschleunigung aufgewendet werden muss, so klein wie möglich zu halten. Die heutige Zeit bietet nun Werkstoffe an, von denen unsere Urahnen nur träumen konnten und die anscheinend bei Langbögen noch nicht entdeckt worden sind.

Als ich 1996 vom Olympic zum Langbogen konvertierte und meinen ersten Bogen gekauft hatte, war ich mit diesem nicht besonders zufrieden. Die 55 lbs versuchten mir bei jedem Schuss alle Bogenarmgelenke zu zertrümmern und die erreichte Pfeilgeschwindigkeit war tränentreibend. „Das kann es ja wohl nicht sein“, sagte ich mir, und weil ich schon immer den Traum von einem selbst gebauten Bogen hatte, fing ich einfach mal an. Mein Traum war es, irgendwann einen Langbogen mit Carbon-Backing zu bauen.

In den Gesprächen, die ich mit Bogenbauern geführt hatte, hörte ich immer wieder „das kann man nicht so allgemein sagen“ und „das kommt darauf an“, was ziemlich unbefriedigend war. Im Nachhinein muß ich aber leider zugeben, dass sie recht hatten. Die Sache ist sehr komplex und es kommt immer drauf an.

Da ich einmal Werkstofftechnik studiert habe, kam ich auf die Ideen, die Sache wie ein Ingenieur anzugehen und das heißt, die ganze Sache in Parameter zu zerlegen und ein Modell zu entwickeln, mit dem man Abschätzungen machen kann, um zu wissen, in welcher Richtung man herum probieren muss. Die erste Version des Rechenmodells war relativ schnell fertig und ich überprüfte damit die Bauart meines gekauften Langbogens. Dieser entsprach in keinster Weise meinen Vorstellungen von einem Bogen. Was ich dabei lernte war, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Anhand der Werte, die ich aus den Berechnungen meiner gekauften „Katastrophe“ gewann, berechnete ich eine Profilierung, die meinen Vorstellungen von einem Bogen entsprach. Das erste Modell aus Esche mit Glasfaser-Backing war besser als mein gekaufter Bogen. Obwohl er nur 44 lbs hatte, waren die Pfeile viel schneller und der Armschock viel geringer. Mit dem weiterentwickelten Rechenmodell baute ich meinen zweiten Bogen, berechnet auf der Grundlage der Daten, die sich aus dem ersten Bogen ergaben. Er hatte exakt das berechnete Zuggewicht (52 lbs), eine bessere Auszugscharakteristik und eine Abschussgeschwindigkeit von 182 km/h mit einem 32 g schweren Pfeil, von einer Dacron-Sehne abgeschossen. Nicht schlecht Herr Specht, dachte ich mir und machte weiter.

Als das Rechenmodell nach zwei Jahren Tüftelei schließlich ganz fertig war und alle Parameter berücksichtigt waren, wunderte ich mich, dass mir meine Bögen nicht um die Ohren geflogen sind, denn ich hatte vorher keine Ahnung, wie hoch die auftretenden Spannungen im Backing tatsächlich sind. Jetzt ging ich los und suchte nach Werkstoffkennwerten für Glasfaser- und Carbonfaser-Werkstoffe. Dabei stellte ich fest, dass Carbon gegenüber Glas sehr große Vorteile hat. Carbonfaser-Epoxidharz-Verbunde aus Unidirektional-Gewebe (viele dicke Fasern in Längsrichtung werden von wenigen, sehr dünnen Schussfäden zusammen gehalten) haben die Festigkeit von hochfestem Stahl und sind damit etwa 1,7 Mal fester als der gleichwertige Glasfaser-Verbund. Die Steifigkeit ist ca. 2,3 Mal so groß wie bei Glasfaser-Verbunden und die Dichte ist ebenfalls geringer (Carbon/EP ca. 1,45 g/cm⊃3;, Glasfaser/EP ca. 1,8 g/cm⊃3;). Dafür sind Carbonfasern aber 10 Mal so teuer wie Glasfasern.

Vielleicht ist das der Grund, warum keine Langbögen mit Carbon-Backing auf dem Markt sind. Bei Bingham-Projekts in den USA kostet ein Streifen mit 0,5 mm Dicke ca. 350 ATS, das heißt, für einen Bogen muss man ca. 1.400 ATS nur fürs Carbon rechnen. Aber es lohnt sich. Insbesondere, wenn man sehr leichtes und trotzdem festes Füllmaterial zwischen das Carbon schiebt. Dazu eignet sich Bambus hervorragend. Das ist ein absolut geniales Material, das sehr geringes Gewicht mit hoher Elastizität und Festigkeit vereinigt. Füllmaterial deshalb, weil auf Grund des hohen Steifigkeitsunterschieds (E-Modul) zwischen Karbon und Holz ca. 85% der Gesamtspannungen im Carbon auftreten. Die höhere Steifigkeit von Carbon gegenüber Glas hat zur Folge, dass das gleiche Zuggewicht eines Bogens erreicht wird, indem die Wurfarme wesentlich dünner gebaut werden. Ein Wurfarm mit Carbon-Backing hat nur ungefähr zwei Drittel der Dicke eines mit Glas belegten Wurfarms. Das bedeutet eine enorme Gewichtsersparnis und gleichzeitig einen Armschock, den man fast nicht mehr spürt.
Der erste Prototyp wurde im Oktober 1999 gebaut. Er hat 47,5 lbs bei 28", zieht sich wie Butter und geht ab wie Schmitts Katze. Das Schönste daran ist, dass der Bogen keine starke Reflex-Deflex hat und im aufgespannten Zustand eine kontinuierliche Krümmung besitzt, sodass er auch nach internationalem Reglement als Langbogen eingestuft werden müsste. Der Abschuss ist praktisch ohne Armschock und sehr ruhig, fast wie bei einem Recuve. Leider konnte ich noch keine Messung der Abschussgeschwindigkeit durchführen, weil ich kein solches Gerät besitze (vielleicht kann mir da einer der geschätzten Leser weiterhelfen?). Da ich jedoch auf 40 m so schieße, wie mit dem glasbelegten Vorgängermodell auf 30 m, schätze ich sie auf ca. 200 km/h mit einem 32-g-Pfeil und einer Dacron-Sehne. Nach der Physik und meinen Berechnungen liegt dies durchaus im Bereich der Realität, da die Energiedichte des Carbon-Bogens ca. 170 % der Energiedichte eines Glas-Bogens gleicher Bauart und gleichen Zuggewichts beträgt. Das bedeutet für die Abschussgeschwindigkeit, dass sie theoretisch ungefähr 30 % höher ist als die eines Glas-Bogens gleicher Bauart. Letztendlich hilft da aber nur messen. Carbon bringt also einiges gegenüber Glas. Über den Daumen gepeilt: 20% weniger Zuggewicht bei gleicher Abschussgeschwindigkeit und einem deutlich geringeren Armschock als bei Verwendung von Glasfaser-Verbundwerkstoffen. Damit schont es auch die Gelenke und vermindert Spätschäden, die bei hohen Zuggewichten fast unvermeidlich sind.

Das Berechnungsprogramm in DOS, mit dem ich meine Bögen berechne, liegt vor, aber es ist noch nicht anwenderfreundlich genug. In Excel habe ich es auch vorliegen, allerdings scheue ich mich es anzubieten, weil es nicht viel Sinn macht etwas zu berechnen, ohne die Hintergründe zu kennen. Bevor das Buch nicht fertig ist, in dem die Hintergründe der technischen Mechanik und der Festigkeitslehre für den Bogenbau beschrieben sind, will ich es nicht anbieten.

Dabei würde es mich an dieser Stelle interessieren, wer an so etwas Interesse hätte. Dieses Computerprogramm entbindet einen nicht der Pflicht, sein Hirn und sein Gefühl beim Bogenbau einzusetzen. Es ist lediglich ein Werkzeug, das Dinge sichtbar machen kann, die man mit dem bloßen Auge nicht sieht, und das sind z.B. Spannungen, Krümmungsverlauf und die Energieverteilung im Wurfarm, das Wesentliche eben.

Damit kann man optimieren, abändern oder einfach mal herum probieren und sich viel Bruch sparen, weil das Backing zu dünn gewählt wurde oder das Verhältnis zwischen Breite und Dicke nicht gepasst hat. Außerdem ist es möglich die Profilierung eines Bogens festzulegen, der dann das Zuggewicht hat, das man haben will. Dass es funktioniert, habe ich, wie ich glaube, bewiesen. Allerdings sind die Toleranzen sehr gering, die beim Bauen eingehalten werden müssen. Ich arbeite mit einer Genauigkeit von +/- 0,05 mm bei der Gesamtdicke und + 0,5 mm bei der Breite der Wurfarme und das ist bei Holz ganz schön heftig.

Bogenbauen ist für mich ein kleines privates Forschungsprojekt geworden und ich wäre nicht abgeneigt, mit andern zusammenzuarbeiten, um das Wissen in diesem Bereich auf eine breitere wissenschaftliche Basis zu stellen. Denn bei dem was ich so mitbekomme, sind sehr viele Halbwahrheiten und Gerüchte im Umlauf. Da ich kein Millionär bin, suche ich dringend jemand, der Beziehungen zu einem Werkstoffprüflabor (Uni, FH ...) hat und einen Biege- oder Zugversuch mit meinem Glasfaser/EP und Carbon/EP machen kann, damit ich endlich mal genaue Werkstoffkennwerte habe. Wer Interesse hat, kann sich gerne mit mir in Verbindung setzen. Meine Adresse kann bei der Redaktion erfragt werden