Standhöhe und Spinewert

Artikel von Thomas Meine erschienen in der Zeitschrift "3-D Bogensport"

Immer wieder hört man, dass eine Korrektur des dynamischen Spines eines Pfeils über die Standhöhe, also den Abstand der Sehne zum Bogen im Ausgangszustand, korrigiert werden kann.
Hierbei vermischen sich teils abenteuerliche Erklärungen wie dies physikalisch funktioniert, mit der Vernachlässigung viel wichtigerer Faktoren, welche durch Standhöhenveränderung negativen Einfluss gewinnen.
Zunächst die Antwort auf die Frage - hat die Standhöhe Einfluss auf den dynamischen Spine: ja. Allerdings kann man dies – zugegebenermaßen etwas weit hergeholt - mit der Frage vergleichen: Wird die Performance meines VW-Golf besser, wenn ich beim Tanken noch einige Liter Trinitromethan einfülle – je mehr desto besser. Auch hier ist die Antwort ja, aber … nur für die nächsten und gleichzeitig letzten drei Kilometer der Lebenszeit des Motors.

Auch EASTON widmet sich notgedrungen im „Tuning-Guide“ diesem Thema, ergänzt aber prompt auch mit einem Ja, aber … EASTON empfiehlt zunächst die Standhöhe zur Spinekorrektur nur sehr limitiert einzusetzen („EASTON does not suggest an extreme range of brace-heigt“ – EASTON empfiehlt keinen großen Schwankungsbereich der Standhöhe).
Dann folgen Erklärungen bezüglich negativer Auswirkungen, wohlgemerkt ausschließlich unter dem Aspekt von nur geringfügigen Änderungen und schließlich die Empfehlung, sich doch besser andere Pfeile auszusuchen, wenn im limitierten Bereich eine ausreichende Korrektur nicht möglich ist.

Was passiert nun physikalisch, wenn ich die Standhöhe ändere? Mit einer höheren Standhöhe verändert sich die Vorspannung der Wurfarme.
Nun kann man einwenden, dass es in diesem Zusammenhang doch völlig egal sei, wie meine Standhöhe ist, die Kraft wird doch erst in der Position meines Auszugs übertragen. Ob ich dann von 8 Zoll oder 9 Zoll auf 28 Zoll ausziehe, macht doch keinen Unterschied. Die 28 Zoll sind doch entscheidend. Ich könnte sonst ja erst mal in eine Vorspannung auf 15 Zoll gehen, verharre da zwei Sekunden und bringe diese Vorspannung dann auf die 28 Zoll mit. Zunächst widerlegt dies klar die These, dass die Standhöhe Einfluss hat.

Hierbei begeht man aber einen Denkfehler. Bei der Erhöhung oder Verminderung der Standhöhe bleibt die Sehne immer gerade und längs zwischen den Tips. Beim Auszug auf den Anker aber, wird die Sehne nicht insgesamt und in voller Länge gleichmäßig nach hinten gezogen, sondern geknickt in einem Winkel. Sie nimmt so tatsächlich etwas von der größeren oder kleineren Energie mit, welche sich durch die verschiedene Vorspannung der Wurfarme ergibt.

Also, in geringem Umfang und innerhalb enger Toleranzen, kann man das durchaus als ein Tuning-Element einbeziehen, wenn die Pfeile nicht ganz passen.
Eine Erhöhung der Standhöhe bewirkt einen größeren Druck im Vollauszug, aufgrund der Mitnahme von höherer gespeicherter Energie in der Vorspannung – macht also die Pfeile „weicher“. Bei einer niedrigeren Standhöhe ist es umgekehrt.

Dem steht allerdings sofort gegenüber, dass man bei einer Erhöhung der Standhöhe zwar mehr Druck auf die Nocke bekommt, man aber gleichzeitig insgesamt einen Geschwindigkeitsverlust hat, weil der Pfeil kürzer auf der schnelleren und schiebenden Sehne verweilt.

Wir kennen die Innenballistik, das Verhalten des Pfeils im Bogenbereich, die Außenballistik, das Verhalten des Pfeils im Flug, und die Zielballistik, das Verhalten des Pfeils nach Auftreffen im Ziel.
Wenn ich eine Veränderung des dynamischen Spines über eine Erhöhung der Standhöhe vornehme, korrigiere ich in der Innenballistik die für den späteren Geradeausflug entscheidenden Knotenpunkte der Oszillation des sich verbiegenden Pfeils (Archer’s Paradox und Knotenpunkte). In der Außenballistik ergibt sich eine Verlangsamung des Flugs und eine weniger flache Kurve, was besonders 3-D-Schützen auf variable Entfernungen interessiert und der Bogenjäger bekommt eine Verschlechterung bei der Zielballistik aufgrund gleicher Masse mit weniger Geschwindigkeit, was dem mit dem Visier zielenden Targetschützen wiederum mehr oder weniger egal ist, weil es für Eindringtiefen in die Scheibe keine Extrapunkte gibt.

Wie wichtig Geschwindigkeit ist, ergibt sich aus der Formel für kinetische Energie, welche auch dem Pfeilflug zugrunde liegt:
K = 1/2 mv2

Während die Masse nur mit ihrer Hälfte zählt, geht die Geschwindigkeit im Quadrat ein. Schon kleinere Erhöhungen oder Reduzierungen haben gewichtige Auswirkung.
Umgekehrt tut man sich oft auch keinen Gefallen. Die höhere Geschwindigkeit, durch den längeren Verbleib auf der Sehne, hat auch ihre Tücken.
Wer sich Extrem-Zeitlupen angesehen hat, sieht, dass die Sehne nicht stramm bis zur Standhöhe durchzieht, sondern ab einem bestimmten Punkt den Wurfarmen vorauseilt, für Millisekunden locker herumbaumelt und in alle Richtungen „herumschlackert“. Wenn dem Pfeil das noch mitgegeben wird, bevor sich die Nocke löst, kann man sich den folgenden Spruch über den Nachttisch hängen: „Besser langsam ins Gold (Kill) als schnell daneben“ (frei übersetzt nach dem englischen Spruch „Better to have a slow bull’s eye, than a fast miss“.

Oft hört man das auch durch das stärkere Anschlagen der für Bruchteile von Sekunden lockereren Sehne bei kleinerer Standhöhe.

Sehr aufpassen muss man besonders im Hinblick auf andere, wichtige Elemente, die man dagegen eintauscht, und soll selbst abwägen. Für mich persönlich kommt eine Spinewert-Korrektur über die Standhöhe wenig infrage. Da habe ich erstmal die Pfeillänge und das Spitzengewicht und dann wohl auch die Einsicht, besser andere Schäfte zu kaufen. Vielleicht, wenn ich bei einem Turnier meine Pfeile vergessen habe und mir noch schnell etwas nicht ganz Passendes leihen kann.

Die gesetzten Grenzen der Standhöhe, wie vom Hersteller empfohlen, sollte man eigentlich nicht verlassen. Diese ist wichtig für eine Reihe von Dingen, deren negativer Einfluss stärker ist als ein geringfügig falscher Spine.

Wenn die Standhöhe zu niedrig ist:
- Lautes Anschlagen der Sehne an den Wurfarmen, besonders bei den Recurves
- Bruchgefahr des Bogens bei extrem niedriger Standhöhe
- Anschlag der Sehne seitlich an den Bogen oder an den Armschutz
- Anschlag des Pfeils an den Bogen = schlechter Flug und Energieverlust
- Pfeil trudelt im Flug

Wenn die Standhöhe zu hoch ist:
- Weniger Energie geht auf den Pfeil
- Pfeilführung zu kurz

Die viel gepriesene „Fehlerverzeihlichkeit“ eines Bogens verändert sich mit der Entfernung von der geeigneten Standhöhe.
Kurzum: Die Beeinflussung des dynamischen Spines über die Standhöhe ist, wenn überhaupt, nur sehr bedingt geeignet. Manche schwören dennoch drauf und lasten dann schlechte Performance oder Bogenbruch den Herstellern oder Bogenbauern an. Einen Bogen, der längere Zeit mit extrem falscher Standhöhe geschossen wurde, würde ich gebraucht nicht kaufen wollen.